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„Sexy up!“ oder: Der Teppich als Text

Bericht über das Doktorandenkolloquium des IDK „Textualität in der Vormoderne“ in Herrsching am Ammersee vom 26.-28.Februar 2007

Von Marcus Botschan

Ende Februar fand sich die zweite Kollegiatengeneration des IDK mit ihrem Wissenschaftlichen Koordinator, Herrn PD Dr. Thomas Borgstedt, bei der Arbeitsintensität förderlichem, sprich: ungemütlichem Wetter in ihrer Tagungsstätte am Ammersee ein. Dieser erste konzentrierte wissenschaftliche Austausch des Kolloquiums hatte zwei Ziele: zum einen die Vorstellung der einzelnen Dissertationsprojekte und ihre konstruktiv-kritische Diskussion, zum anderen die gemeinsame Auseinandersetzung mit den Positionen der avancierten Literaturtheorie zu den relevanten Themen Textualität, Medialität, Performativität, New Philology.

Die Theoriediskussion, stets intensiv und fruchtbar, bisweilen mit dem Mut zum verbalen Furor bestritten, lief immer wieder auf Plädoyers für einen pragmatischen Umgang mit der geisteswissenschaftlichen Terminologie hinaus, wandte sich unter dem Strich aber doch gegen eine in die Beliebigkeit führende Entgrenzung der Definitionen unserer Arbeitsbegriffe, etwa unseres Leitthemas ‚Textualität’, das uns im Fahrwasser der aktuellen Begriffsdebatte in die Untiefen der definitorischen Grenzziehung führte: Welche Kriterien muss ein Diskurs erfüllen, um als Text definiert werden zu können? Kann ein Teppich, der in einer Bildfolge ‚eine Geschichte erzählt’, ein Text sein? – Die Diskussion blieb nicht ohne Früchte: Sebastian Greußlichs Vorschlag, den Textbegriff auf „sprachlich codierte Diskurse“ zu beschränken, fand allgemeinen Zuspruch.

Eigentlicher Kern der Tagung aber war die Vorstellung und Diskussion der Dissertationsthemen, die einen chronologischen Bogen von den mündlichen Anfängen und schriftlichen Überformungen der Heldendichtung am Beispiel von Nibelungenlied- Handschriften (Marcus Botschan) und Wolframs von Eschenbach Parzival mit seinen u.a. kulturhistorischen Implikationen (Christiane Klein) über die Beziehung zwischen Wissenschaft und Literatur im Werk des spätmittelalterlichen katalanischen Dichters Ausiàs March (Isabel Müller), die Bedeutung von Ciceros Philippicae im italienischen Humanismus am Beispiel von Crinitos Poliziano-Sammlung (Cecilia Mussini), die sprachwissenschaftliche Interpretation zweisprachiger (italienisch-spanischer) Literatur vor dem kulturellen Hintergrund des italienischen Renaissancehumanismus (Teresa Maria Gruber) und die Untersuchung von Historiographien über die Kolonialisierung Lateinamerikas (historiografia indiana, 16./17. Jh.) unter Gesichtspunkten der linguistischen Theorie (Sebastian Greußlich) bis hin zur literatur- und kulturhistorischen Analyse poetischer Reflexionen über die bayerische Historiographie des Jacobus Balde unter Kurfürst Maximilian I. (Katharina Kagerer) und mystisch-spiritualistischen Texten, u.a. von Jacob Böhme (Tünde Beatrix Karnitscher).

Die Debatten um die Dissertationsvorhaben und ihre bestmögliche Umsetzung war u.a.  von Fragen der Themenpräsentation und der Interdisziplinarität geprägt. Es fällt nicht leicht, das Thema einer Promotion einleuchtend – aber nicht banal – und anspruchsvoll – aber nicht effektheischend – zu formulieren und gleichzeitig darauf zu achten, dass der Bezug zur avancierten Sprach- und Literaturtheorie, mit der wir uns auseinandersetzen sollen und wollen, nicht erst aus dem fertigen Text, sondern schon aus dem Titel spricht! – So wurde nach dem Motto „Sexy up!“ – bald ein geflügeltes Wort – erörtert, wie Titel und Struktur der Arbeiten kluge Außendarstellung, wissenschaftlichen Anspruch und Bezug zu theoretischen Positionen (aber ohne Überfrachtung mit letzteren, bitte sehr!) elegant vereinen können.

Daneben wurde schnell klar, dass Sprach- und Literaturwissenschaft, enge Verwandte zwar, in parallelen Welten zu existieren scheinen, die sich – mit etwas Glück! – angelegentlich im Unendlichen schneiden, sprich: Wenn Vertreter beider Disziplinen miteinander diskutieren, verwenden sie grundsätzlich entweder verschiedene Begriffe für dieselben Phänomene oder gleiche Begriffe für verschiedene Phänomene (diskutiert z.B. am Begriff der ‚Historizität’). Der interdisziplinäre Anspruch des IDK verlangt mithin – und das ist ein Desiderat weit über die Grenzen des Kolloquiums hinaus – nach einer intensiven Auseinandersetzung mit Vokabular und Methodik jeweils anderer Disziplinen, was auf der Tagung in Herrsching in sehr lehrreicher Weise umgesetzt wurde.

Zwischen ‚positivem Stress’ und Gemütlichkeit, ‚Calm down!’ und ‚Sexy up!’, ertragreicher wissenschaftlicher Arbeit und entspanntem abendlichem Miteinander war dies ein wichtiges Auftakttreffen der neuen IDK-Kollegiatengeneration.

verantwortlich für den Seiteninhalt: Thomas Borgstedt
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